DFG Graduiertenkolleg 1608 / 1 Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive

Alexander Hesse & Stefan Hirsch

Promotionsprojekt


 "Genealogie der Selbstführung. zur historizität von selbsttechnologien in lebensratgebern" (arbeitstitel)


Abstract

Lebensratgeber sind Anleitungen zur Selbstführung: Sie bieten Techniken, die die Veränderung des eigenen Lebens zum Ziel haben: sowohl die Verwandlung der Persönlichkeit, als auch häufig die Neugestaltung von Arbeit, Nahbeziehungen und gesellschaftlichem Status. Dazu werden psychische, soziale und materielle „Ressourcen“ erschlossen und für (häufig recht plakativ vorgegebene) Lebensziele nutzbar gemacht. Der moderne, aufklärerische Imperativ, der den Ratgebern zu Grunde liegt, sich nicht fremd bestimmen zu lassen, wird – historisch unterschiedlich – überführt in einen Imperativ der Lebensplanung, Lebenssteigerung und Selbstverwertung.

Das Forschungsprojekt „Genealogie der Selbstführung“ soll einen Beitrag zu den Forschungen der Gouvernementalitätsstudien leisten. Der Fokus liegt hierbei darauf, wie durch die Anleitungen, Manuale und Techniken in Lebenratgebern ein Subjekt erzeugt wird, dem die Führung seiner selbst und Anderer zur unabweisbaren Aufgabe gemacht wird. Während sich klassische gouvernementale Untersuchungen mit modernen Institutionen beschäftigen (Psychiatrie, Militär, Schule, Gefängnis usw.), soll in diesem Projekt Selbstführung außerhalb solcher institutioneller Arrangements untersucht werden. Denn – so eine wichtige Erkenntnis der Gouvernementalitätsstudien – in modernen, liberalen Gesellschaften bilden gerade die Freiheiten und Möglichkeiten des Individuums den Ausgangspunkt für Praktiken der Selbststeigerung und Selbstführung. Lebensratgeber bieten sich aufgrund ihrer unverbindlichen Form als schriftlich fixiertes Beratungs- und Problematisierungswissen für eine Untersuchung der Formen der Selbstführung an. Darüber hinaus fungieren sie als „Seismographen“ dafür, wie Glück, Erfolgs und Leistung gesellschaftlich vorgestellt und konstruiert wurde/wird. Dabei ist von besonderem Interesse, wie sich die Praktiken der Selbstführung durch das 20. Jahrhundert verändert haben. Nur so gelingt es den Blick freizugeben auf die spezifischen Konstitutionsbedingungen moderner Subjektivitäten.

Mit der Absicht der historisch-soziologischen Grundlagenforschung wird ein Textkorpus von Lebensratgebern erstellt und auf die Problematik der Selbstführung hin untersucht. Dabei werden viele Quellen, besonders die frühen der 1920er Jahre, aber auch der 1960er erstmals für die Forschung auf diesem Gebiet in systematischer Weise zugänglich gemacht.

Zentrales Anliegen des Forschungsprojektes ist es, die in den Lebensratgebertexten enthaltenen Anleitungen, Techniken und Handlungsaufforderungen in ihrer historischen Bedingtheit zu analysieren, um einen Überblick über die Umbrüche in den Selbstführungsmodelle im 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum in Form einer Genealogie zu geben.