DFG Graduiertenkolleg 1608 / 1 Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive

"Hängen wir die bischöfliche Würde an die Wand." (Selbst)Bildungen spätmittelalterlicher Bischöfe im Heiligen Römischen Reich im Vergleich. (Arbeitstitel)

In seinem Auftreten, seinen Worten und Taten war er wahrhaftig, beständig und immer ernst. Doch in der Zeit seiner Jugend, die dem Frohsinn zugetan ist, sprach er privat mit seinen Rittern, Kaplänen, Kämmerern und Junker wie der Geringste von ihnen: »Hängen wir die bischöfliche Würde an die Wand« - und war, bald überlegen, bald unterlegen, der heiterste Gefährte beim Sprung, leichtfüßig beim Lauf; er warf den Stein weiter als die übrigen und übertraf sie an Körperkräften.“ (Die Taten der Trierer. Gesta Treverorum, hrsg. Emil Zenz, Bd. V: Balduin von Luxemburg 1307-1354, Trier 1961, Kapitel CCXVIII S. 22.)

Die mittelalterliche Geschichtsschreibung übermittelt uns viele Bilder von Herrschaftsträgern, wie dieses des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg (1307-1354). Abhängig von der Intension des Auftraggebers erschien der Dargestellte in einem guten oder in einem schlechten Licht. Entsprechend versucht die Mittelalterforschung, die wahren Umstände zu rekonstruieren und das Bild des Herrschers innerhalb eines politischen Machtgefüges zu deuten. In diesem Fall bietet sich jedoch eine neue Sichtweise auf das überlieferte Herrscherbild an. In diesem Worten über Bischof Balduin können wir „beobachten“, wie er es macht: wie er sich „zum Bischof macht“. Balduin weiß genau, welche Handlungen mit der „Würde seines Amtes“ zu vereinbaren sind, und welche es nicht sind. „Sportliche“ Aktivitäten zählen demnach nicht zur Lebensweise eines Bischofs. Und so legt er hier seine Amtswürde für einen kurzen Zeitraum bewusst (aber symbolisch) ab, um auf diese Weise seinen Vergnügungen nachzugehen. Natürlich ist diese Tat als herrschaftspolitisch zu deuten: Balduin macht sich in gewisser Weise zu einem „primus inter pares“, der trotz seiner „hohen Würde“ immer noch zum Kreis seiner (zweifellos untergebenen) Freunde gehört. Für uns spannend ist die Art und Weise, wie diese Tat geschieht.

Offenbar sah der mittelalterliche Bischof mit seinem Amt bestimmte Verhaltensweisen verbunden, um als Bischof „(an)erkannt“ zu werden. Diese verkörperte er durch seine Lebensweise und seine Präsentation nach außen. Seine Kleidung, seine räumliche Umgebung, aber auch sein Umgang mit Menschen und seine Reden sind Praktiken der Verkörperung. Diese Art von Verkörperung geschieht für sich selbst, aber auch und vor allem für andere. Abhängig vom sozialen Umfeld, in dem sich der Bischof gerade bewegt – beispielsweise wie im obigen Beispiel umgeben von lokalen Vertrauten, aber auch an der Kurie oder am Königshof – nimmt er Haltungen an, die er als vereinbar mit dem Amt ansieht. Gleichzeitig werden an ihn und sein Amt Erwartungen und Anforderungen der Gesellschaft gestellt, auf die der Bischof reagieren muss. Die Besetzung eines Bischofsstuhls fand im Spätmittelalter durch Wahlen statt, an denen maßgeblich der Papst, das Domkapitel und auch Teile des lokalen Adels beteiligt waren. Eine weitere Besonderheit der Bischöfe im Heiligen Römischen Reich war ihre Doppelrolle: sie waren einerseits sowohl kirchliches Oberhaupt des Bistums als auch weltlicher Landesherr. Sie agierten daher immer in einem besonderen „Spannungsfeld“, da sie gleichzeitig laikale als auch klerikale Aufgaben zu erfüllen hatten.

Konkret will dieses Promotionsvorhaben danach fragen, wie sich die Individuen in ihr Bischofsamt (sprich: in die Subjektform „Bischof“) „hinein“-bildeten. Wie verkörperten sie praktisch bzw. in Praktiken das Amt und wie haben sie es eventuell sogar verändert bzw. neue Akzente gesetzt? Die Vielzahl an mittelalterlichen Quellen (schriftliche Textquellen wie Urkunden und Amtsbriefe, die „erzählenden“ Quellen wie Gesta, Chroniken und Bischofsviten, aber auch Sach- und Bildquellen) werden synchron und diachron befragt, verglichen und in Beziehung gesetzt, um Praktiken der Subjektivierung sichtbar zu machen. Vollziehen wir diesen Perspektivenwechsel auf die Praktiken der Subjektivierung, so können die vielgesichteten und gedeuteten Quellen des Mittelalters neue Erkenntnisse und Einblicke in gesellschaftliche und herrschaftspolitische Vorstellungen des Mittelalters gewähren.